Bestimmt fragst Du Dich manchmal, warum Deine Mama und ich nicht gemeinsam für Dich da sind. Wo ist Dein Papa? Interessiert er sich gar nicht für Dich?
Doch, lieber Maxi, Du interessierst mich sehr. Du und Dein Bruder, Ihr seid das Wichtigste für mich. Um zu verstehen, warum ich nicht für Dich da sein kann, möchte ich Dir erzählen, was damals passiert ist, kurz vor und nach Deiner Geburt. Ich habe lange überlegt, ob ich Dir das jetzt und hier schreiben soll. Man könnte einwenden, Du wärst noch zu klein dafür und ein Brief wäre privater. Ich denke aber, mit 10 Jahren bist Du alt genug und hast ein Recht darauf, es zu erfahren. Einen Brief würdest Du vermutlich nicht bekommen, ich befürchte, Deine Mutter würde ihn Dir nicht geben. Und das Gerede anderer Menschen hat mich, ehrlich gesagt, nie besonders interessiert.
Deine Mama und ich, wir haben uns mal sehr lieb gehabt, wie Du hier sehen kannst. Aber irgendwann wurden aus Kleinigkeiten große Streitereien. Das Gefühl des verliebt seins ging verloren. Etwa zu dieser Zeit wurdest Du geboren.
Deine Mama und ich haben angefangen, uns über Kleinigkeiten zu streiten und gegenseitig Vorwürfe zu machen. Irgendwann im März 2005 war mir klar, dass Deine Mama und ich ganz unterschiedliche Erwartungen an einander haben. Und weil diese Erwartungen vom jeweils anderen nicht erfüllt wurden, waren wir enttäuscht und frustriert.
Als ich selbst noch ein kleiner Junge war habe ich erlebt, wie es sich anfühlt, wenn die eigenen Eltern streiten. Das wollte ich für Dich auf keinen Fall. Also habe ich mich von Deiner Mama getrennt und vorgeschlagen, dass wir aber trotzdem beide gemeinsam als Eltern für Dich da sein wollen.
Zuerst klappte die Trennung sogar ganz gut. Wir gewannen Abstand und haben uns beide bemüht, vernünftig und freundlich miteinander umzugehen. Ich glaube, damals hatte Deine Mama noch die Hoffnung, dass sie und ich vielleicht später doch wieder zusammen kommen. Vielleicht irre mich aber auch.
Ich war bei Deiner Geburt nicht dabei, habe Dich aber am Nachmittag besucht. Du warst damals schon ein ganz toller Junge: Ich habe Dich im Arm gehalten und Du hast mit Deinen kleinen Fingern ganz fest meinen Daumen fest gehalten. Das war ein ganz großartiges Gefühl und ich war mächtig stolz auf Dich.
Deiner Mama habe ich vorgeschlagen, dass wir beide zusammen für Dich sorgen, das nennt man, „dass gemeinsame Sorgerecht vereinbaren“. Sorgerecht bedeutet, dass jemand für einen anderen sorgen darf, Eltern zum Beispiel für ihre Kinder. In Deutschland ist so etwas seltsamerweise nur für Mütter selbstverständlich, nicht für Väter.
Ein Vater bekommt in Deutschland das Sorgerecht für seine Kinder nur dann, wenn er mit der Mutter verheiratet ist, oder die Mutter damit einverstanden ist.
Damals durfte ich Dich aber zumindest noch in Lübeck besuchen. Wenn auch oft nur für ein paar Stunden. Es sei aber besser für Dich sei, wenn Du mich nicht in meinem zu Hause besuchen kommst.
Nach ein paar Jahren wurden meine wenigen Besuche dann anstrengend für Dich. Da kann ich Dich gut verstehen. Wer hat schon Lust, bei Wind und Wetter alle 14 Tage in der Stadt spazieren zu gehen oder einen Ausflug zu machen. Ich war für Dich nicht Dein Papa, sondern nur eine Art Besuchs-Onkel, mit dem Du dann alle paar Wochen ein paar Stunden zu Fuß etwas in Lübeck unternommen hast. Wenn es nicht gerade geregnet hat, waren wir dann Pizza essen oder angeln oder im Sea-Life-Aquarium, bestimmt erinnerst Du Dich. Die Hälfte unserer Zeit haben wir oft schon für die Fahrt zum Angelteich und zurück gebraucht. Richtig kennen lernen konnten wir uns in den sechs Stunden im Monat aber nicht. Zwar haben Deine Mutter und ich uns nie gestritten, wenn Du anwesend warst. Ich konnte aber dennoch spüren, dass Dich der Konflikt Deiner Eltern belastet hat. Und ich merkte auch, das Sabine wollte, dass wir uns nicht mehr sehen.
Als Du angefähr fünf Jahre alt warst hat sie Dich veranlasst, mich anzurufen und mir zu sagen, dass Du mich „nie wieder sehen willst“. Im ersten Moment war ich natürlich geschockt, aber als ich Dich daran erinnerte, wie viel Spaß wir bei unseren Ausflügen haben, haben wir uns am kommenden Wochenende doch noch sehen können. Aber eine sogenannte „Entfremdung“ war deutlich zu spüren.
Diese Entfremdung ging natürlich nicht von Dir aus, Du warst erst fünf Jahre alt! Vielmehr entfremdet sich ein Kind, dass seinen Vater nicht sehen kann ganz automatisch; es lernt ihn ja gar nicht kennen. Manche Mütter stellen den Vater dann auch in einem „schlechten Licht“, als Bösewicht dar, und dann stellt sich ein kleines Kind fast immer auf die Seite der Mutter, bei der es ja lebt. Weil das ganz oft passiert, bei Eltern, die ihren Streit nicht beilegen können, (selbst dann nicht, wenn das Kind dann einen Elternteil verliert) gibt es sogar einen medizinischen Begriff dafür, man das Parental Alienation Syndrome (Eltern-Entfremdung). Wenn Dich das Thema interessiert, kannst Du hier mehr darüber lesen.
Oder hier ein Video dazu sehen:
Ich habe viele Jahre versucht, Deine Mama davon zu überzeugen, dass es für einen Jungen ganz wichtig ist, zu wissen, wer sein Vater ist. Das es schön und wichtig wäre, wenn wir mit Deinem Bruder Henry bei mir zu Hause spielen können. Dass ich Dir Frühstück und Abendbrot machen kann. Das ich Dich trösten kann, wenn Du traurig bist und Dir vor dem Einschlafen eine Gute-Nacht-Geschichte vorlese. Solche Sachen eben, bei denen Du mich kennen lernst und ich Dich kennen lerne.
Nachtrag vom 04.05.2018: Heute habe ich auf nTV eine Geschichte gelesen, die der unseren sehr ähnlich ist: https://www.n-tv.de/leben/Der-Vater-der-nie-da-war-article20406823.html
Henrys Mutter Corinna und ich haben deswegen vereinbart, dass wir gemeinsam als Eltern für Henry da sein wollen. Das klappt prima, auch wenn ich Henry nicht jeden Tag sehen kann, so nutzen wir die gemeinsame Zeit doch sehr intensiv. Wir haben feste Zeiten, an denen Henry bei uns ist, und Feiertage verbringt Henry abwechselnd hier und bei Corinna.
So eine Regelung wollte ich auch unbedingt mit Deiner Mama vereinbaren: Mehrere Jahre lang habe ich versucht, Sie zu überzeugen. Als mir klar wurde, dass sie dazu kein Einverständnis geben wird, habe ich dann fast vier Jahre lang vor dem Lübecker Gericht darauf geklagt, dass Du mich besuchen darfst.
Der Richter war ein junger Mann, der seine Rolle als Moderator verstanden hat. Das bedeutet, er wollte Deiner Mutter und mir Zeit geben um zu erkennen, dass DU das Wichtigste bist und nicht unser kleinlicher Streit. Und dass ein Junge beide Eltern braucht, Mama und Papa. Er hat deshalb Gesprächstermin beim Jugendamt und bei einer kirchlichen Familienberatungsstelle für Deine Mama und mich angeordnet. Oftmals lagen Monate zwischen den einzelnen Terminen und die Zeit verstrich. Und mit jedem Tag, den Du und ich uns nicht gesehen haben, warst Du weiter weg, eben „entfremdet“. Du kanntest mich ja kaum, und je seltener Du mich gesehen hast, desto weniger hast Du mich natürlich vermisst. Aber ich bin mir sicher: Wenn andere Väter Ihre Kinder von der Schule abgeholt haben, hast Du Dich manchmal gefragt: „Wo ist eigentlich mein Papa?“ Oder?
Nach vier Jahren saß ich wieder einmal vor Gericht und diskutierte mit dem Anwalt Deiner Mutter. Ich sagte, dass es gut für Dich sei, wenn Du auch zu Deinem Papa Kontakt hast und mich regelmäßig für ein paar Tage besuchen kommst. Das Jugendamt und ein Arzt waren der selben Meinung.
Doch plötzlich wurde mir klar, dass Deine Mutter das niemals erlauben würde, ganz egal, was Richter, Anwälte, Psychologen oder das Jugendamt dazu sagen. Und mir wurde auch klar, dass dieser Richter auch in den nächsten Jahren kein Urteil fällen wird, dass es Dir erlaubt, mich zu besuchen.
In dieser Minute habe ich aufgehört, mit Deiner Mutter vor dem Gericht zu streiten. Das war für mich eine Erleichterung und ganz furchtbar zugleich. Es war furchtbar, weil ich in dem Moment die Hoffnung aufgegeben habe, vielleicht doch noch als Papa für Dich da sein zu dürfen. Wenn Du selbst einmal Kinder hast und ein Papa bist, wirst Du das noch besser verstehen können. Es war aber auch eine Erleichterung, weil dieser Streit durch meine Entscheidung beendet wurde. Ich habe also die Situation akzeptiert und dem Richter spontan gesagt, dass ich den Prozess nicht fortführen möchte.
Nach der Verhandlung bin ich mit Dir und Deiner Mutter noch spazieren gegangen. Ich habe ihr von meiner Vermutung erzählt, welches der wirkliche Grund dafür sei, dass sie Dir nicht regelmäßig Besuche bei mir erlaubt. Dem Richter hatte sie vorher gesagt, sie habe Angst, dass Du bei mir nicht sicher wärst und Dir etwas passieren könnte.
Nachdem ich den Gerichtsprozess beendet hatte, hat Sie mir auf dem Spaziergang aber die Wahrheit gesagt: Deine Mama hat Angst gehabt, dass Du mich irgendwann genauso lieb haben könntest, wie Du Deine Mama lieb hast. Und das Du gern auch Zeit mit mir in Bendestorf verbringen möchtest. Das ist der Grund, warum Du Deinen Papa nicht kennst und ihn nicht besuchen darfst.
Als ich an diesem Tag wieder zu Hause war, habe ich Dir einen Abschiedsbrief geschrieben. Von Dir Abschied zu nehmen und zu wissen, dass ich Dich lange Zeit nicht mehr sehen werde, hat mir sehr wehgetan und das tut es heute noch. Dennoch bin ich auch heute noch davon überzeugt, dass es die richtige Entscheidung für Dich war.
Deine Mama war danach sicher sehr viel entspannter. Und in Hubert hast Du – so glaube und hoffe ich – auch eine Art Ersatzvater gefunden.
Auch wenn Deine Mama und ich leider keinen Weg gefunden haben, gemeinsam für Dich dasein zu können, weiß ich aber genau, dass Deine Mama Dich sehr, sehr lieb hat.
Und lieber Maxi, auch wenn ich Dir das nicht persönlich zeigen kann: Ich habe Dich auch lieb!
Dein Papa Axel